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Gedanken zu Franz Kafkas – Die Verwandlung

Liest man Franz Kafkas Werke zu ersten Mal, kann es gut sein, dass sich Irritation, Beklemmung und Niedergeschlagenheit einstellen. So ging es mir mit seinem Werk «Das Schloss». Die Handlung der Geschichte wollte sich mir nicht erschliessen. Ich war genervt von dem Mangel an konkret nachvollziehbarem Handlungsverlauf. Zudem war der Protagonist offenbar in einer beklemmenden Lage, die Atmosphäre war eine kalte und trostlose, und ich spürte, wie sich eine Bedrückung in meinem Gemüt breitmachte. Ich unterbrach das Lesen und legte Das Schloss und somit auch Franz Kafka, erst einmal beiseite.

Erst deutlich später kam mir erneut der Impuls mich mit seinen Werken zu befassen. Die Verwandlung schien mir geeignet, da sie als Geschichte kurz war. Zu meiner Freude erlebte ich gleich von Beginn an ein Eintauchen in die Erzählung, was zu einem gespannten und gar gefesselten Lesen dieser Geschichte meinerseits führte. Anfangs fing mich ein, dass die spontane und unvorhergesehene Verwandlung Gregor Samsas in ein Ungeziefer unbestimmter Art, durchaus einfach ein gruseliger Albtraum sein könnte -auch wenn Kafka gleich in den ersten Zeilen schreibt «Es war kein Traum». Dem war nun aber nicht so. Der Morgen begann mit der unumstösslichen Tatsache einer haarsträubenden und grotesken Verwandlung. Wie schon der Protagonist, war nun auch ich als Leser abrupt in dieses Horrorszenario hineingeworfen worden. Aber es war zu spät. Die Erzählung hatte mich gepackt.

Obwohl die Geschichte dem Genre Horror zuzuordnen ist, hat sie humoristische Elemente. Wenn Kafka als Erzähler-Ich seinem Protagonisten, der ja nun arg überkommen von einer körperlich empfindungsintensiven Katastrophe, gefangen in seinem Bett auf dem panzerartigen Rücken liegt und verzweifelt bemüht ist, seine dünnen insektiziden Beinchen unter Kontrolle zu bekommen, angestrengt darüber nachdenken lässt, wie er es denn bewerkstelligen könne, es möglichst auf den nächsten Zug zu schaffen, da er ja als Handelsreisender längst hätte unterwegs sein sollen, muss man einfach schmunzeln. Die Ironie ist köstlich. Zudem findet sich der Protagonist Gregor Samsa selbst, in ihn amüsierenden Gedankengängen wieder, als er es bereits nach hunderten Versuchen sich aus dem Bett zu rollen, nicht vermochte dies zu bewerkstelligen und befand, dass es doch hilfreich wäre, wenn zwei starke Leute ihn umrollen würden, indem sie Ihn unter dem stark gewölbten Rücken packten und auf die Seite rollten. Er würde sich dann schon mit den vielen dünnen Beinchen auf dem Boden fangen. Sein Vater und das Dienstmädchen wären geeignet, vorausgesetzt, sie würden nur im Geringsten in der Lage sein zu verkraften, was die Verwandlung mit Gregor angerichtet hatte.

Nach aussen hin ist Gregor das braune, schleimspurhinterlassende Ungeziefer, welches zunehmend die Fähigkeit zu menschlicher Sprache verliert. Innerlich jedoch bleibt es Gregor, der die Menschen, sprich seine Familie, weiterhin versteht. Er behält auch seine Persönlichkeit bei, verhält sich weiterhin wie Gregor. Ergreifend fand ich, wie sich Gregor an das Bild der mit Pelz bekleideten Dame haftet, indem er sich mit seinem Bauch, der als sehr warm beschrieben wird, daran presst, um zumindest noch ein letztes Stück seiner Zimmereinrichtung behalten zu dürfen – den hölzernen Bildrahmen hatte er selber gemacht. Gregor bleibt auch scheu und verängstigt, obwohl sich alle vor ihm fürchteten. Er selbst erleidet auf vielfältige Art einen Körper, der sehr verwundbar ist, infiziert und krank erscheint. Er lernt zwar, sich mit diesem zu arrangieren, aber es bleibt eine einzige Tortur. Wie er als Mensch schon eine schwache Lunge hatte, so auch als Ungeziefer – hier lässt sich ein autobiografisches Element Kafkas erkennen, nämlich seine Tuberkulose.

Je mehr die Erzählung fortschreitet, umso mehr wird sie von einem Horrorszenario zu einem Drama. Der Schrecken angesichts der Verwandlung Gregors, wird zu einer Art Geschichte der Ausgrenzung. Gregor, der zwar in den ersten Wochen seiner Verwandlung, seitens der Schwester und der Mutter noch mit Mitgefühl und Rücksicht behandelt wird, wird zunehmend schnell nur noch geduldet, und mehr und mehr wünscht sich die Familie sein Verschwinden. Gregor ist mit einem Mal sich und seiner Umgebung auf erschreckende Weise entfremdet. Zu seinem Leidwesen wird Gregor der Mensch, die Persönlichkeit, der Sohn, der Bruder, unsichtbar für die Familie durch seine Verwandlung. Es wird nicht bemerkt, dass er innerhalb seines monströsen Ungezieferkörpers noch immer Gregor ist. Nur er ist sich dessen bewusst. In meinem psychiatrischen Arbeitsalltag kam einst ein Patient in der Therapie darauf zu sprechen, dass er sich wie Gregor Samsa fühle. Er erkenne sich nicht wieder in seiner Depression. Der Zustand der Erkrankung fühlte sich wie eine groteske Verwandlung in ein wesensfremdes Sein an. Und natürlich reagierte die Familie und das weitere soziale Umfeld darauf. Anfangs vielleicht mit Erschrecken, dann mit Mitgefühl und schliesslich mit Überdruss und Scham.

Gregor lebte isoliert in seinem Zimmer – auch schon vor seiner Verwandlung. Bisher war er der Versorger, ja der Alleinerhalter der Familie. Jetzt ist er nur noch ein Ballast. Spannend zu beobachten ist, wie der Vater, der in der Erzählung anfangs als eher lethargisch und kaum belastbar daherkommt, und für den an arbeiten gehen gar nicht zu denken ist, nach ein paar Wochen folgend auf die Verwandlung von Gregor, dann doch neuen Elan bekommt und eine Stelle bei einer Bank antritt. Überhaupt verändert sich die Familiendynamik, in der Not des Ausfallens des Alleinerhalters Gregor grundlegend. Es scheint, als habe sich die gesamte Familie recht bequem in dem Umstand eingerichtet, dass Gregor durch seine Arbeit für den Unterhalt sorgt. Dieser Komfort wurde nun brutal zunichte gemacht.

Das Dienstmädchen, das x-te in einer Reihe von Dienstmädchen, dass den Dienst bei den Samsas antrat und welches als alte Witwe mit starkem Knochenbau beschrieben wird, hat jedoch keine Angst und keine Abscheu vor Gregor. Im Gegenteil, sie versucht ihn gar mit einem gewissen Wohlwollen zu behandeln, welches in Aussagen wie «Komm her du alter Mistkäfer» zum Ausdruck kommt. Gregors Zimmer war bald eine Gerümpel Kammer, in die die Familie gleichgültig alles reinverfrachtete, was Unrat war, und Gregor hauste zwischen Müll, Staub und alten Gegenständen, für die es keine Verwendung mehr gab – was für ein tragisches Sinnbild.

Nachdem sich Gregor einmal unerwünscht der Familie zeigte und sich Mutter und Schwester nähren wollte, in seinem Erleben aus dem Wunsch nach Nähe heraus, wird er vom Vater mit Äpfeln beschmissen und einer dieser Äpfel, dringt in seinen Körper ein und verbleibt dort als leidvolle Wunde. Gregor quält sich durch sein Dasein, nimmt kaum noch Nahrung auf und wird ohnehin schon lange nicht mehr als Teil der Familie und des Haushaltes behandelt. Schliesslich hungert er zu Tode.

Zu Kafkas Zeit war diese Geschichte etwas höchst Verwunderliches und die meisten konnten sie sich nicht erklären. So schrieb ein Zeitgenosse Kafkas, Dr. Siegried Wolff, einen Brief an ihn und sagte darin, dass er sich das Werk kaufte und auch mehreren Menschen in seinem familiären Umfeld zu lesen gab. Jedoch niemand, ihn eingeschlossen, konnte sich die Geschichte erklären, was ihn in rechte Bedrängnis brachte. Und somit bat er Kafka um Aufschluss. In der heutigen Zeit, in der nun schon seit Dekaden die Genres des Horrors, der Fantasy und der Science Fiction ermüdend ausgeschöpft worden sind und wohl kaum eine originelle Idee nicht schon zigmal verfilmt worden ist, ist Kafkas Erzählung sicherlich nicht mehr dieser Verwunderung unterworfen. Zudem hat sich das psychoanalytische Denken bereits seit über einem Jahrhundert in die seelischen Abgründe des Menschen vorgewagt und die Welt der Träume und somit auch Albträume analysiert und bietet Möglichkeiten, den Schrecken des Unbewussten zumindest ein Stück weit beizukommen.

Mit der Ausgabe der Suhrkamp Basis Bibliothek 13, erschien auch ein ausgiebiger Kommentar, der sich mit den Deutungsversuchen der Geschichte befasst.

Kafkas Die Verwandlung zeugt für mich von literarischem Genie. Kafka erschafft eine Welt, äusserlich völlig grotesk und abschreckend, in der sich Menschen mit einem Albtraum arrangieren müssen. Im Kern der Erzählung aber, auf einer innen liegenden Ebene sozusagen, erzählt er eindrücklich die Tragik menschlicher Beziehungen, ja die Tragik des Menschseins selbst.

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