Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht auf Linked In oder Instagram oder sonst wo im Internet, Beiträge zu KI gezeigt bekomme. Das immer eindringlicher werdende Glorifizieren der Künstlichen Intelligenz, welches scheinbar überall zu vernehmen ist, stimmt mich nachdenklich. Nicht nur das. Es wird prophezeit, dass die sogenannte KI die gesamte Berufswelt und Gesellschaft im Allgemeinen revolutionieren wird. Wie es bei wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen immer Mode ist, wird selbstverständlich das Qualitätssiegel Fortschritt aufgebracht, um so genauso selbstverständlich zu rechtfertigen, dass der Preis, der für diese Entwicklung gezahlt werden muss, ein unweigerliches Opfer darstellt – bei einer Revolution rollen nun mal Köpfe. In diesem Fall sind es wie so oft Arbeitsplätze, ggf. ganze Berufszweige, für die Menschen scheinbar überflüssig werden. Ist das etwas, dem man mit Enthusiasmus entgegenstreben sollte?
Unsere Kinder sollen mehr und mehr digital unterrichtet werden. Wozu noch auswendig lernen, wenn man doch ChatGBT oder andere KIs fragen kann? Wozu noch Rechnen lernen, wenn man digitale Rechner hat? Wozu noch Sprachen lernen, wenn man mit KI übersetzen kann? Warum noch von Hand schreiben lernen, wenn doch ohnehin «alles» mit Tastaturen geschrieben wird. Es grenzt wohl schon fast an Missbrauch, diese vermeintlich völlig überflüssigen kognitiven Leistungen weiterhin von den Kindern dieser und der kommenden Generationen abzuverlangen. Fortschrittsverweigerung? Es ist erstaunlich wie selbstverständlich jahrzehntelange Forschung und gesicherte Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und Neuropsychologie einfach ausrangiert werden, um dem kategorisch gutzuheissenden Fortschritt der Technik Raum und Legitimität zu verleihen. Sicherlich gibt es diejenigen die in Hinsicht auf das Lernen von KI profitieren, wie z.B. Menschen mit Rechtschreibschwäche, Lernschwäche etc. und das sei ihnen auch vergönnt.
Es gilt aber das Folgende zu bedenken: Kognitive Funktionen müssen aktiviert bleiben, um nicht zu verkümmern. Müssen sich Menschen nicht mehr auf ihr eigenes Gedächtnis verlassen, es nicht mehr schulen, verkümmert dieses. Dies gilt im Grundsatz für alle kognitiven Fähigkeiten. Das heisst nicht nur, dass Informationen verloren gehen. Es bedeutet auch, dass Menschen nicht mehr (er)lernen. Und zwar im Sinne einer Verinnerlichung von Informationen und Fähigkeiten. Um zum Beispiel logisch denken zu können, muss ich Sachverhalte kennen, heisst, ich muss erinnern können und Herleitungen machen können. Habe ich Informationen verinnerlicht, was heisst, dass sie zu einer Erkenntnis werden, kann ich diese auch aktiv in Denkprozesse einbeziehen. Muss ich diese Denkleistungen aber nicht mehr selbst vollziehen, verlerne ich sie irgendwann. Ich als Ergotherapeut weiss z.B. nur zu gut, wie wichtig kognitive und emotionale Stimulierung in der kindlichen Entwicklung und auch im Alter ist, besonders bei demenziellen Erkrankungen – diese werden wiederum verstärkt durch kognitive und emotionale (soziokulturelle) Unterforderung. Diese Stimulierung MUSS aber durch andere Menschen kommen, nicht durch Technologie! Schliesslich ist unsere Bildung im Grundsatz dafür da, dass wir in der menschlichen Gesellschaft wirken und miteinander leben können.
Lernen ist nicht nur die Übermittlung von Informationen. Lernen heisst systematisch geschult zu werden, konkret und individuell gefördert zu werden, in einer Lehrer-Schüler-Beziehung zu sein. Lernen passiert zu einem grossen Teil über zwischenmenschliche Beziehung. Ein Lehrer muss sich persönlich auf die Schüler beziehen können, sie motivieren, ermutigen, korrigieren und fordern, um sie fördern zu können. Wir sind leibliche Wesen, keine virtuellen Wesen. Die verkörperte Präsenz eines Lehrers ist ein wichtiger Wirkfaktor im Lernprozess. Eine KI sollte hierbei sinnvoll assistieren, aber keinesfalls, als eine überlegene Form des Lernens suggeriert werden. Wie perfide ist das eigentlich, dass Menschen dazu aufrufen, Menschen abzuschaffen?
Eine eigene Handschrift zu haben, heisst ein Stück Persönlichkeit zu entfalten. Wir spiegeln uns in unserer Handschrift wider. Sie ist Ausdruck unseres Selbst, ein Stück Individualität und auch Identität (Menschen die von Analphabetismus betroffen sind, haben zwar diese Ausdrucksmöglichkeit nicht, was aber die Wirkung des von Hand Schreibens nicht minimiert). So zeugt ein handgeschriebener Brief viel mehr von Beziehung und persönlicher Bezugnahme als eine Font-Schrift, die nichts von meinem individuellen Wesen in sich trägt. Überhaupt sind es erst einmal Menschen, die eine Handschrift entwickeln müssen, die sie dann in ein Schreibprogramm einprogrammieren können. Zudem stimulieren wir durch das Schreiben von Hand mehr Areale unseres Gehirns, als wenn wir z.B. schlichtweg nur in eine Diktierfunktion hineinreden oder über einen Touchscreen Worte nur ansatzweise eingeben müssen. Ausserdem gilt es zu hinterfragen, was wir denn mit all der freien Zeit machen wollen und sollen, wenn wir Denk-, Lern- und Kommunikationsprozesse zunehmend in eine KI auslagern? Es droht dem Menschen dann noch mehr Sinnverlust, als es ohnehin schon der Fall ist und somit verstärkt sich das Gefühl der (eigenen) Sinnlosigkeit, was sich erweitert in Lebensüberdruss, was wiederum ein erhöhtes Selbstmordrisiko schafft.
Mein Fazit: Dass KI in informationsverarbeitenden Bereichen Erleichterung und Optimierung verschaffen kann, ist unbestreitbar. KI als Lehrerersatz ist jedoch keine neue Freiheit. Sie schafft Abhängigkeit. Wenn Menschen kognitiv zunehmend unselbstständiger werden, müssen sie sich vermehrt auf Technologie verlassen, und werden so abhängiger von ihr. Freiheit bedeutet Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. KI ist zudem auch keine Lösung für den Lehrermangel. Wenn sie weiter so idealisiert und unreflektiert propagiert wird, wird sie nur zum Sargnagel einer ganzen Profession. KI soll dem Menschen assistieren ihn jedoch nicht ersetzen.







