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Fantasievolles Schreiben

Hast du schon mal von Odradek gehört? Es ist ein spulenartiges, hölzernes Wesen, das garnumwunden ist und sprechen kann, wenn es will. Odradek ist eine Schöpfung von Franz Kafka. Er hat ihn, oder es, erfunden. Der Name an sich sagt gar nichts über das Wesen aus. Jemand könnte diesen Namen beliebig mit einem anderen Inhalt füllen und somit eine neue Wortbedeutung erschaffen. Das ist das Schöne am kreativen Umgang mit Sprache. Man kann Dinge erfinden, neu erfinden. Sogar Sprache selbst. Das heisst, wir können neue Worte erfinden, sogenannte Neologismen, um unseren Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Dies muss nicht, entgegen erkenntnistheoretischem Denken, dem Anspruch genügen, dass der Begriff auch etwas tatsächlich physisch Existierendem entsprechen muss (Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Begriffe ohne Anschauungen sind leer). Nein, in unserem Fall des fantasievollen Schreibens, geht es darum zu erfinden, spielerisch mit Ideen zu hantieren.

Was das bringt? Es bringt Freude. Es gibt uns die Möglichkeit unsere Fantasie zu entfalten und somit auch uns selbst. Der Mensch ist schöpferisch. Es liegt in seiner Natur kreativ zu sein. Es ist Ausdruck seines Wesens. Und ausserdem; wer wird nicht gerne unterhalten? Denken wir zum Beispiel an den Schweizer Kabarettisten Franz Hohler mit seinem Totemügerli – alles frei erfunden. Solche Sprachspiele laden uns ein, uns aus dem konventionellen Gebrauch von Sprache herauszubegeben und unsere Fantasie spielen zu lassen. Es ist ohnehin unklar, warum Worte im Allgemeinen genau die inhaltliche Zuschreibung erhalten, die sie haben. Natürlich braucht es einen sprachlichen Konsens, ein verbindliches Regelwerk für Sprache, da wir uns sonst überhaupt nicht miteinander verständigen könnten, so wie damals die Menschen, die am Turmbau zu Babel beteiligt waren. Jedoch tut es uns gut, uns ab und an die Freiheit herauszunehmen, mit Sprache zu spielen.

Worte haben eine kognitiv-logische Komponente, also die eines gedachten Inhaltes in Zusammenhang zu anderen Wörtern, eine phonetische Komponente, heisst eine ihnen eigene Klangwirkung, und eine bildliche Komponente, eine innere visuelle Vorstellung dessen, was das Wort vermittelt. Mit ein bisschen Nachdenken können wir leicht erkennen, dass diese Ebenen in unserem Wahrnehmungsgeschehen nicht zwingend kongruent und stimmig zueinander erlebt werden. Ein Wort kann für uns nach etwas «völlig anderem» klingen als das, was es kognitiv-logisch meint. So klang für mich zum Beispiel das Wort Elysium nach einem Edelmetall. Nun, da ich weiss, dass es «paradiesisches Land» (der alten Griechen) bedeutet, besetze ich das Wort mit einem Bild, welches ich mit paradiesisch und Land assoziiere.

Sprache ist stets subjektiv, solange nicht ein objektivierter Konsens über Wortbedeutungen und Sprachnutzung erreicht wurde. Aber selbst dann bleibt Sprache ein subjektives Geschehen – nur weniger missverständlich. Das Schöne an Poesie und Bibliotherapie ist, dass hier gerade diese Subjektivität von Sprache einen Raum bekommt und über das Erleben und Austauschen von Resonanz zwischen Menschen, eine Inter-Subjektivität stattfinden kann. Wenn ich Schreibwerkstätten leite, ist es mir stets ein grosses Anliegen, dass Menschen im kreativen Schreibprozess ihre eigenen Worte finden, sich in ihren Worten finden. Damit ist einem Menschen in seiner Mensch-Werdung mitunter ein grosser Gefallen getan.

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PS: Übrigens habe ich bei dem Wort Blog, immer ein Bild von einem in einem Fluss schwimmenden Baumstamm im Sinn.

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